Das Finanzgericht Sachsen-Anhalt hat entschieden, dass von einem steuerlichen Laien nicht erwartet werden, jegliche Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu erkennen. Konkret: Wird im Rahmen des Lohnsteuerabzugs eine höhere Vorsorgepauschale abgezogen als tatsächlich an Vorsorgeaufwendungen entstanden sind, so besteht zwar eine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung, doch das Zusammenspiel der entsprechenden Vorschriften ist so kompliziert, dass es eine Laie nicht versteht. Folge: Im Streitfall war der Verspätungszuschlag auf 0 EUR zu reduzieren (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.2.2024, 2 K 628/22).

1. Hintergrund

Wer seine Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß einreicht, muss damit rechnen, dass das Finanzamt einen Verspätungszuschlag festsetzt (§ 152 AO). Der Verspätungszuschlag wird grundsätzlich im Rahmen des Steuerbescheids festgesetzt und muss zusätzlich zur fälligen Steuer bezahlt werden. Er beträgt für jeden angefangenen Monat der Verspätung 0,25 Prozent des fälligen Steuerbetrages, aber mindestens 25 EUR pro angefangenem Monat der Verspätung.

  • Bei der Festsetzung eines Verspätungszuschlags ist zu unterscheiden zwischen der Ermessensentscheidung nach § 152 Abs. 1 AO und der gebundenen Festsetzung nach § 152 Abs. 2 AO: Die Entscheidung liegt im Ermessen des Finanzbeamten, wenn die Fristüberschreitung weniger als 14 Monate beträgt ("Kann-Regelung"). Dann kann von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abgesehen werden, wenn der Steuerzahler glaubhaft macht, dass die Verspätung entschuldbar ist.
  • Der Zuschlag aber ist zwingend festzusetzen, wenn die Fristüberschreitung mehr als 14 Monate beträgt ("Muss-Regelung"). In diesem Fall aber kann das Finanzamt dann wiederum auf eine Festsetzung verzichten, "wenn die Steuer auf null Euro oder auf einen negativen Betrag festgesetzt wird oder wenn die festgesetzte Steuer die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen und der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge nicht übersteigt" (Rückausnahme gemäß § 152 Abs. 3 Nr. 2 und 3 AO).

Eine Besonderheit versteckt sich noch in § 152 Abs. 5 Satz 3 AO: "Wurde ein Erklärungspflichtiger von der Finanzbehörde erstmals nach Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist zur Abgabe einer Steuererklärung innerhalb einer dort bezeichneten Frist aufgefordert und konnte er bis zum Zugang dieser Aufforderung davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen, so ist der Verspätungszuschlag nur für die Monate zu berechnen, die nach dem Ablauf der in der Aufforderung bezeichneten Erklärungsfrist begonnen haben."

2. Das aktuelle Urteil

Wie eingangs erwähnt hat das Finanzgericht Sachsen-Anhalt entschieden, dass von einem steuerlichen Laien nicht erwartet werden, jegliche Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu erkennen. Konkret: Wird im Rahmen des Lohnsteuerabzugs eine höhere Vorsorgepauschale abgezogen als tatsächlich an Vorsorgeaufwendungen entstanden sind, so besteht zwar eine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung, doch das Zusammenspiel der entsprechenden Vorschriften ist so kompliziert, dass es eine Laie nicht versteht. Und so greift der oben erwähnte § 152 Abs. 5 Satz 3 AO. Folge: Im Streitfall war der Verspätungszuschlag auf 0 EUR zu reduzieren (FG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22.2.2024, 2 K 628/22).

  • Der Fall: Die Kläger sind Ehegatten. Beim Ehemann wurde im Rahmen des Lohnsteuerabzuges 2019 die Mindestvorsorgepauschale in Höhe von 1.900 EUR berücksichtigt. Seine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung lagen im Jahr 2019 darunter. Eine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 hatten die Eheleute nicht abgegeben. Im September 2020 versandte das Finanzamt folgendes Schreiben an die Ehegatten „Sofern eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht, reichen Sie bitte die Steuererklärung(en) / Unterlagen zur Steuererklärung elektronisch über ELSTER (www.elster.de) oder - sofern zulässig - nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck in Papierform bis spätestens 23.09.2020 ein.”
  • Da die Ehegatten dennoch keine Einkommensteuererklärung abgaben, schätze das Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen und erließ im Februar 2022 einen Steuerbescheid für das Jahr 2019. Darüber hinaus setzte es auch einen Verspätungszuschlag fest. Gegen den Bescheid zum Verspätungszuschlag legten die Eheleute Einspruch ein. Zur Begründung legten sie dar, dass sie zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2019 nicht verpflichtet seien. Sie hätten die Steuerklassen IV/IV und keine Lohnersatzleistungen oder Ähnliches erzielt. Das Finanzamt wies darauf hin, dass sich die Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung aus § 46 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG ergebe, weil die im Rahmen des Lohnsteuerabzuges berücksichtigte Vorsorgepauschale höher sei als die abziehbaren Vorsorgeaufwendungen. Der Verspätungszuschlag sei ordnungsgemäß festgesetzt worden. Weil die Verspätung mehr als 14 Monate betragen habe, bestehe insoweit kein Ermessen. Doch das Finanzgericht sieht die Sache anders. Der festgesetzte Verspätungszuschlag sei auf 0 EUR zu reduzieren.
  • Begründung: Das Erinnerungsschreiben des Finanzamts vom September 2020 stellt keine Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung dar. Dieses Schreiben enthielt lediglich einen formlosen Hinweis, dass eine Einkommensteuererklärung für 2019 bis dahin nicht eingegangen war, und welche Folgen eine Nichtabgabe oder verspätete Abgabe einer Steuererklärung haben kann, falls eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe besteht. Einen expliziten Hinweis, den die Kläger als Aufforderung zur Erklärungsabgabe hätten verstehen müssen, enthält das Schreiben dagegen nicht. Die Kläger durften bis zum Ablauf der Frist des § 152 Abs. 9 Satz 1 AO (Tag der Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids 2019) auch davon ausgehen, keine Steuererklärung abgeben zu müssen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die steuerlich nicht beratenen Kläger ihre Verpflichtung zur Abgabe einer Einkommensteuersteuererklärung kannten oder kennen mussten. Diese gesetzliche Abgabeverpflichtung ergibt sich aus einer Kette mehrerer gesetzlicher Normen und aus Verweisen auf zum Teil sehr umfangreiche und nicht einfach zu lesende gesetzliche Normen. Insbesondere sind die Ausführungen in den §§ 46 Abs. 2 Nr. 3 und 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 3 EStG für einen Laien kaum zu verstehen. Es kann daher nicht erwartet werden, dass ein steuerlicher Laie diese Verpflichtung kennt, ohne darauf hingewiesen worden zu sein.

STEUERRAT:  Es wurde die Revision zugelassen, die aber nicht eingelegt wurde. Das Urteil ist also bestandskräftig geworden und kann in ähnlich gelagerten Fällen vorgebracht werden. Der Fall, dass die Vorsorgepauschale höher ist als die tatsächlichen Aufwendungen, kommt insbesondere bei Personen mit freier Heilfürsorge oftmals vor.