Bestandskräftige Steuerbescheide dürfen vom Finanzamt zu Ihren Lasten nur unter engen Voraussetzungen geändert werden. Eine dieser Möglichkeit ist die Korrektur von so genannten offenbaren Unrichtigkeiten wie etwa Schreib-, Rechen- und rein mechanischen Fehlern (§ 129 AO). Nun kommt es vor, dass Steuerbürger ihre Einkünfte in der Steuererklärung ordnungsgemäß angeben und das Finanzamt diese Angaben nicht für die Besteuerung erfasst. Die Frage ist, ob in diesem Fall ein bereits erlassener bzw. bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid noch gemäß § 129 AO berichtigt werden kann.

AKTUELL hat der Bundesfinanzhof die Frage, ob das Finanzamt bei ordnungsgemäß erklärten, aber nicht erfassten Einkünften einen Steuerbescheid nachträglich noch ändern kann, wie folgt entschieden: Hat das Finanzamt die "Anlage S" zur Einkommensteuererklärung versehentlich nicht eingescannt und die angegebenen Einkünfte somit nicht in das elektronische System übernommen, liegt ein "mechanisches Versehen" und somit grundsätzlich eine offenbare Unrichtigkeit gemäß § 129 Satz 1 AO vor. Folglich darf der Steuerbescheid geändert werden. Doch ein mechanisches Versehen ist nicht mehr gegeben, wenn der Sachbearbeiter eine weitere Sachverhaltsermittlung unterlässt, obwohl sich ihm aufgrund der im Rahmen des Risikomanagementsystems ergangenen Prüf- und Risikohinweise eine weitere Prüfung des Falles hätte aufdrängen müssen. Im Urteilsfall hat der Steuerzahler 128.641 EUR verdient und muss dafür im Ergebnis keine Einkommensteuer zahlen(!) (BFH-Urteil vom 14.1.2020, VIII R 4/17).

  • Der Fall: Ein Selbstständiger hat in seiner auf dem amtlichen Vordruck eingereichten Einkommensteuererklärung u.a. Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 128.641 EUR erklärt. Beim Einscannen der Unterlagen im Finanzamt wurde die "Anlage S" zur Einkommensteuererklärung übersehen, so dass eine Erfassung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit unterblieb. Nach maschineller Überprüfung der eingescannten Daten durch ein Risikomanagementsystem gingen im Finanzamt mehrere Prüf- und Risikohinweise ein, die u.a. auf Einkünfte "des Ehemanns/der Ehefrau von weniger als 4.200 EUR" hinwiesen und eine "personelle Prüfung" des als "risikobehaftet" eingestuften Falls vorsahen. Die zuständige Sachbearbeiterin bearbeitete diese Prüf- und Risikohinweise, prüfte jedoch nicht, ob die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit zutreffend im Einkommensteuerbescheid übernommen worden waren. Erst im Folgejahr wurde der Fehler erkannt und der Einkommensteuerbescheid nach
    129 Satz 1 AO berichtigt.
  • Der BFH widersprach dem Finanzamt und gab dem Steuerzahler recht. § 129 Satz 1 AO erlaubt nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten (sog. mechanische Versehen), die beim Erlass des Verwaltungsakts unterlaufen sind. § 129 AO ist dagegen nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des Finanzamts ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat. Im Urteilsfall beruhte der fehlerhafte Einkommensteuerbescheid darauf, dass die zutreffende Höhe der im Bescheid angesetzten Einkünfte nicht aufgeklärt wurde, obwohl aufgrund der Risiko- und Prüfhinweise Zweifel an der Richtigkeit dieser Einkünfte bestanden und deshalb eine weitere Sachaufklärung geboten war. Das schließt das Vorliegen eines bloß mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.

 Weitere Informationen:

Beachten Sie auch unsere weiteren Steuertipps in der Rubrik