Für ein Kind zwischen dem 18. und dem 25. Lebensjahr erhalten die Eltern Kindergeld, wenn es sich noch in der Berufsausbildung befindet. Allerdings gibt es eine wichtige Differenzierung zwischen Erst- und Zweitausbildung: Bei einer Erstausbildung wird das Kindergeld ohne weitere Voraussetzungen gezahlt. Bei einer Zweitausbildung sieht die Sache anders aus: Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Lediglich eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 2 u. 3 EStG). Das heißt: Für die Frage des Kindergeldes ist es von Vorteil, wenn ein aufbauender Studiengang oder eine fachliche Weiterentwicklung noch als Erstausbildung gilt, denn dann kann das Kind voll arbeiten, ohne dass der Anspruch auf Kindergeld verlorengeht. Die Rechtsprechung lässt es zuweilen auch durhaus zu, dass ein Aufbaustudium oder eine weiterführende Ausbildung noch der Erstausbildung zuzurechnen sind. Man spricht dann von einer einheitlichen Erstausbildung oder einer mehraktigen Berufsausbildung. Allerdings sind die Hürden für die Anerkennung einer einheitlichen Erstausbildung hoch.

AKTUELL hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass Kindergeld nicht mehr in Betracht kommt, wenn das Kind nach Abschluss der Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin mehr als 20 Stunden in der Finanzverwaltung arbeitet und in der arbeitsfreien Zeit Jura studiert (BFH-Urteil vom 7.4.2022, III R 22/21).

  • Der Fall: Die Klägerin ist die Mutter einer 1999 geborenen Tochter, die im August 2020 ein Studium zur Diplom-Finanzwirtin erfolgreich abschloss. Anschließend nahm die Tochter eine Tätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung auf, die zunächst 40 Wochenstunden und ab Dezember 2020 28 Wochenstunden umfasste. Im Oktober 2020 begann die Tochter ein Studium der Rechtswissenschaften. Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldgewährung wegen des Universitätsstudiums ab September 2020 ab, da sie der Auffassung war, dass die Tochter ihre Erstausbildung bereits mit dem Studium zur Diplom-Finanzwirtin abgeschlossen habe. Das Studium der Rechtswissenschaften sei eine Zweitausbildung, die wegen der zu umfangreichen Erwerbstätigkeit der Tochter kindergeldrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden könne. Das Finanzgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der BFH hielt die Revision der Klägerin für unbegründet. Eine mehraktige Berufsausbildung sei nicht gegeben.
  • Ob mehrere Ausbildungen zu einer einheitlichen Erstausbildung (mehraktige Berufsausbildung) zusammengefasst werden können oder es sich um eine Erst- und eine Zweitausbildung handelt, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst setzt eine einheitliche Erstausbildung einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Dies war im Streitfall durchaus gegeben. Aber: Die Ausbildung im zweiten Abschnitt muss die Haupttätigkeit des Kindes darstellen und nicht hinter die Erwerbstätigkeit zurücktreten. Insofern ist eine Gesamtbetrachtung durchzuführen. Da die Tochter bereits ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis im erlernten Beruf aufgenommen hatte, etwa gleich viel Zeit in die Ausbildung und in die Erwerbstätigkeit investierte und sich die Ausbildungszeiten nach den arbeitsfreien Zeiten richteten, sprach die Gesamtbetrachtung für eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung (Zweitausbildung). Daher kam es auf den Umfang der Erwerbstätigkeit an. Da dieser über der Grenze von 20 Wochenstunden lag, konnte kein Kindergeld gewährt werden.
 

Prüfschema

Die Rechtsprechung zum Kindergeld bei einem weiterführenden Studium oder einer ergänzenden Ausbildung ist äußerst kompliziert geworden. Folgendes Prüfungsschema kann aber bei der Frage, ob Kindergeld zu gewähren ist, weiterhelfen:

1.Handelt es sich um eine Ausbildung oder um ein Studium, das auf der ersten Ausbildung aufbaut? Falls ja: weiter mit 2. Falls nein, handelt es sich sozusagen um eine andere "Fachrichtung": Kindergeld wird nur gewährt, wenn nebenher keine Erwerbstätigkeit oder eine Tätigkeit von maximal 20 Wochenstunden ausgeübt wird.

2.Besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten? Falls ja: weiter mit 3. Falls nein: Kindergeld wird nur gewährt, wenn nebenher keine Erwerbstätigkeit oder eine Tätigkeit von maximal 20 Wochenstunden ausgeübt wird.


Hinweis: Wenn sich Sohn oder Tochter für den nächstmöglichen Ausbildungsabschnitt (z.B. einen Meisterkurs) erst mehrere Monate nach Bestehen der ersten Ausbildung (z.B. der Gesellenprüfung) angemeldet haben, spricht dies nicht gegen eine Verklammerung der Ausbildungsabschnitte (BFH 11.12.2018, III R 32/17).

3.Nutzt das Kind die Qualifikation, die es nach dem ersten Abschluss erlangt hat, bereits für einen Beruf, den es nun auch tatsächlich ausübt? Falls ja: Es deutet vieles darauf hin, dass die weitere Ausbildung nicht mehr Teil einer "Gesamtausbildung" ist. Folge: Kindergeld für die weitere Ausbildung wird voraussichtlich nicht gewährt, da die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Falls nein: Der Kindergeldanspruch könnte erhalten bleiben, da die weitere Ausbildung im Vordergrund steht. Es ist aber in beiden Fällen eine Gesamtbetrachtung mit Punkt 4 vorzunehmen.


Beispiele:


Wird z.B. ein Geselle oder Kaufmann von seinem Ausbildungsbetrieb im erlernten Beruf übernommen oder nimmt ein Bachelor eine durch diesen Abschluss eröffnete Stelle an, kann dies Indiz dafür sein, dass die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Denn ein solcher Sachverhalt spricht laut BFH dafür, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur der beruflichen Weiterbildung oder Höherqualifizierung in einem bereits aufgenommenen und ausgeübten Beruf dienen. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre (z.B. Aushilfstätigkeit in der Gastronomie oder im Handel) oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit (z.B. bei einem Bachelor, der während des nachfolgenden Masterstudiums mit 19 Stunden als wissenschaftliche Hilfskraft tätig ist und daneben 3 Nachhilfestunden pro Woche gibt), kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.

4.Ist die Arbeitstätigkeit der weiterführenden Ausbildung übergeordnet und wird die Ausbildung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild neben dem Beruf durchgeführt? Falls ja: In der Gesamtbetrachtung mit Punkt 3 wird das Kindergeld wohl entfallen. Falls nein: Das Kindergeld dürfte in der Gesamtbetrachtung mit Punkt 3 erhalten bleiben, denn die Ausbildung steht im Vordergrund. Eine berufliche Tätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden spricht zwar gegen die Gewährung des Kindergeldes. Aber: Wird die 20-Stundengrenze nur geringfügig überschritten, ist dies eventuell unschädlich und die Berufsausbildung kann dennoch im Vordergrund stehen. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen.


Beispiele:

Wird etwa eine Teilzeittätigkeit von regelmäßig 22 Wochenstunden so verteilt, dass sie sich dem jeweiligen Ausbildungsplan anpasst, ist das ein Indiz für eine im Vordergrund stehende Ausbildung. Gleiches gilt, wenn das Kind etwa während des Semesters maximal 20 Wochenstunden arbeitet, durch eine während der Semesterferien erhöhte Wochenstundenzahl aber auf eine durchschnittliche Arbeitszeit von mehr als 20 Wochenstunden kommt. Arbeitet das Kind dagegen annähernd vollzeitig und werden die Ausbildungsmaßnahmen nur am Abend und am Wochenende durchgeführt, deutet dies darauf hin, dass die weiteren Ausbildungsmaßnahmen nur neben der Berufstätigkeit durchgeführt werden. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind.

 HINWEIS: Der guten Ordnung halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Gesagte natürlich gleichermaßen für die Frage der Gewährung des Kinderfreibetrages gilt.

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