Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte sind nur mit der Entfernungspauschale abziehbar. Das sind 30 Cent je Entfernungskilometer; ab dem 21. Entfernungskilometer erhöht sich der Betrag auf 38 Cent. Fahrten zu Tätigkeitsstätten, die nicht als "erste Tätigkeitsstätte" gelten, sind hingegen nach Reisekostengrundsätzen mit 30 Cent je gefahrenen Kilometer oder mit den tatsächlichen Kosten abziehbar. Zudem können gegebenenfalls Mehraufwendungen für Verpflegung berücksichtigt werden. AKTUELL hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass bei einem Beamten, der im Wege einer mehrfach verlängerten Versetzung über mehrere Jahre an einer Ausbildungsstätte eingesetzt wird, die Ausbildungsstätte keine erste Tätigkeitsstätte darstellt (FG Münster, Urteil vom 2.9.2024, 15 K 698/22 E). Das Urteil kann bares Geld wert sein.
  • Der Fall: Eheleute sind beide als Beamte des Landes Nordrhein-Westfalen tätig. Beide wurden im Jahr 2012 bzw. 2013 von ihrem jeweiligen Dienstort als Lehrpersonen an eine Ausbildungsstätte versetzt. Die jeweilige Stelle war für die Dauer von vier Jahren zu besetzen mit der Möglichkeit zu einer einmaligen Verlängerung um maximal zwei Jahre. Vor Ablauf der vier Jahre verlängerte der Dienstherr den Verwendungszeitraum um weitere zwei Jahre und sodann vor Ablauf dieser zwei Jahre mehrmals um weitere zwei Jahre. Im Anschluss sollte eine Versetzung aus dienstlichen Gründen an eine zu nennende "Wunschbehörde" erfolgen. In ihrer Einkommensteuererklärung 2020 machten die Eheleute die Fahrten zur Ausbildungsstätte als Reisekosten geltend. Das Finanzamt berücksichtigte demgegenüber nur die Entfernungspauschale, da die Eheleute jeweils einer ersten Tätigkeitsstätte - der Ausbildungsstätte - zugeordnet seien. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Die angefallenen Fahrten seien nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen, da es sich nicht um Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte gehandelt habe.
  • Begründung: Die erste Tätigkeitsstätte werde vorrangig durch den Arbeitgeber bestimmt, hilfsweise mittels quantitativer Kriterien. Entscheidend sei, ob der Arbeitnehmer aus der vorausschauenden Sicht ("ex-ante-Sicht") nach den arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden solle.
  • Im Streitfall seien die Kläger der Ausbildungsstätte nicht dauerhaft zugeordnet gewesen. Eine entsprechende dauerhafte dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung habe nicht vorgelegen. Die Kläger seien zwar im Wege der Versetzung der Ausbildungsstätte zugeordnet worden. Und nach der beamtenrechtlichen Konzeption soll der Einzelne grundsätzlich entweder im Rahmen einer kurzfristigen, vorübergehenden Abordnung eingesetzt werden oder durch eine dauerhafte Versetzung Rechtssicherheit für den Beamten geschaffen werden. Diese Trennung zwischen den beamtenrechtlichen Rechtsinstituten werde in der Praxis jedoch nicht immer eingehalten, so dass es - wie im Streitfall - de facto auch zu zeitlich befristeten Versetzungen komme. Sofern der Bedienstete von vornherein nur zeitlich begrenzt versetzt werde, schlage die beamtenrechtliche Konzeption nicht auf die steuerrechtliche Beurteilung durch.
  • Das heißt konkret im Urteilsfall: Nach den Vorstellungen des Dienstherrn sollten die Kläger zunächst jeweils nur vorübergehend - für den Zeitraum von vier Jahren - und damit nur für einen Zeitraum von 48 Monaten und nicht von mehr als 48 Monaten - ihren Dienst an der Ausbildungsstätte verrichten. Dies folgt aus den Stellenausschreibungen und einem Erlass des Dienstherrn, dem zu entnehmen ist, dass die Dozenten in der praktischen Aus- und Fortbildung stets rotieren sollen, um die Praxisnähe nicht zu verlieren. Die nachfolgenden mehrfachen Verlängerungen der "Verwendungszeiträume" beider Kläger durch den Dienstherrn um jeweils zwei Jahre ändern nichts daran, dass es keine dauerhaften Festlegungen bezüglich der Tätigkeitsstätte durch den Dienstherrn gab.
  • Die Ausbildungsstätte sei auch nicht nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG anhand quantitativer Erwägungen als erste Tätigkeitsstätte anzusehen. Zwar seien die Kläger seit mehr als acht bzw. mehr als neun Jahren typsicherweise mehrmals in der Woche dort tätig gewesen. Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG müssten diese Voraussetzungen jedoch dauerhaft vorliegen. Diese Beurteilung sei - wie auch bei § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG - aus ex-ante-Perspektive und nicht aus ex-post-Sicht vorzunehmen. Aus ex-ante-Sicht hätten die Kläger weder zu Beginn der von vornherein zeitlich befristeten Versetzung noch im Zeitpunkt der jeweiligen Verlängerungsentscheidung für jeweils mehr als 48 Monate in der Ausbildungsstätte tätig werden sollen. Dem Dienstherrn sei es nach dem konkreten Konzept gerade auf den flexiblen und zeitlich befristeten Einsatz der Kläger an der Bildungseinrichtung angekommen (Quelle: FG Münster, Newsletter Oktober 2024).

STEUERRAT: Das Niedersächsische FG hatte in einem - wenn auch etwas anders gelagerten Sachverhalt - wie folgt entschieden: Bei der Versetzung eines Finanzbeamten an ein Finanzamt für Großbetriebsprüfung und gleichzeitiger Rückabordnung an ein anderes Finanzamt im Rahmen der Ausbildung zum Großbetriebsprüfer stellen die Fahrten zum Abordnungs-Finanzamt Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte dar, wenn beim Finanzamt für Großbetriebsprüfung während dieser Zeit keine wesentlichen Arbeitsleistungen erbracht wurden (Niedersächsisches FG, Urteil vom 14.6.2022, 13 K 82/21; vgl. SteuerSparbrief März 2024). Die hiergegen gerichtete Revision wurde zurückgewiesen, allerdings nicht aus materiell-rechtlichen, sondern aus rein verfahrensrechtlichen Erwägungen (BFH-Beschluss vom 19.4.2023, VI R 15/22). Ähnlich hat zudem das Hessische Finanzgericht entschieden (Urteil vom 15.7.2021, 7 K 603/19). In beiden Fällen ist also auf die tatsächlichen und nicht auf die rein beamtenrechtlichen Begebenheiten abgestellt worden. Auch im Fall des FG Münster wurde eher darauf abgestellt, dass Dozenten typischerweise nicht länger als vier Jahre an der Ausbildungsstätte unterrichten und im Urteilsfall - zunächst - auch nur eine vierjährige Tätigkeit vorgesehen war, obwohl rein beamtenrechtlich eine dauerhafte Versetzung erfolgte. Für die Kläger in den Fällen aus Niedersachsen und Hessen war diese Sichtweise nachteilig, den Klägern in dem Münsteraner Fall kam sie zugute.

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