- Der Fall: Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Sie brachten sie vor, dass die Festsetzung des Solidaritätszuschlags gegen das Grundgesetz verstoße. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte "Reichensteuer", die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße. Der BFH ist dem nicht gefolgt.
- Begründung: Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht sei daher nicht geboten. Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) habe die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe müsse nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe könne sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings sei ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb könne eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist. Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner (Wieder-)Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 habe der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.
- Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag bestehe nicht. Zudem habe in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes bestanden. Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er habe weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.
- Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, habe der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags werde daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, könne auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum sei beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen. Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, komme es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
- Der Solidaritätszuschlag verstoße auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung sei aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, sei die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher können auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund sei die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt (Quelle: BFH, Mitteilung vom 30.1.2023).
STEUERRAT: Das letzte Wort ist mit der Entscheidung des BFH sicherlich nicht gesprochen, denn es darf wohl davon ausgegangen werden, dass die Kläger Verfassungsbeschwerde einlegen werden. Ohnehin liegt beim Bundesverfassungsgericht bereits seit Jahren der Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vor (Az. des BVerfG: 2 BvL 6/14). Hier geht es um die Frage, ob der Solidaritätszuschlag bereits im Veranlagungszeitraum 2007 verfassungswidrig war. Zudem liegt eine weitere Verfassungsbeschwerde unter dem Az. 2 BvR 1505/20 vor. Von daher werden die Steuerbescheide wohl weiter vorläufig ergehen und bisherige Vorläufigkeitsvermerke nicht aufgehoben.
Weitere Informationen: Der Solidaritätszuschlag: Wie hoch ist die Zusatzabgabe?