Bestandskräftige Steuerbescheide dürfen vom Finanzamt zu Ihren Lasten nur unter engen Voraussetzungen geändert werden. Eine dieser Möglichkeit ist die Korrektur von so genannten offenbaren Unrichtigkeiten wie etwa Schreib-, Rechen- und rein mechanischen Fehlern (§ 129 AO). Natürlich ist die Finanzverwaltung mit dem Argument des "mechanischen Fehlers" schnell bei der Hand, das heißt, sie behauptet, dass eine inhaltliche Prüfung eines bestimmten Sachverhalts nicht erfolgt sei und sich der Bearbeiter lediglich vertan hat, etwa bei der Eintragung eines Wertes in eine falsche Kennziffer. Und so gibt es bei den Finanzgerichten immer wieder Streit über die Frage, ob nun eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt oder nicht.

AKTUELL stand beim Bundesfinanzhof folgende Frage auf der Agenda: Kann ein Steuerbescheid nach § 129 AO geändert werden, obwohl die Veranlagung von mehreren Finanzbeamten und sogar vom Sachgebietsleiter geprüft worden ist? Wenn es nach dem Finanzgericht Köln gegangen wäre, hätte die Antwort gelautet: Ja, der Bescheid kann dennoch geändert werden (Urteil vom 14.6.2018, 15 K 271/16). Doch glücklicherweise hat der Bundesfinanzhof dieser Haltung soeben widersprochen. Haben sich sechs Augen den Fall angeschaut, scheidet eine Änderung von Steuerbescheiden nach § 129 AO prinzipiell aus (BFH-Urteil vom 10.12.2019, IX R 23/18)

  • Der Fall: Der Kläger war alleiniger Gesellschafter einer GmbH und veräußerte einen Gesellschaftsanteil von 20 Prozent für einen Verkaufspreis von 138.400 EUR. Die Beteiligung wurde im Privatvermögen gehalten. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2011 erklärte der Steuerbürger daher einen entsprechenden Veräußerungsgewinn (§ 17 EStG). Vom Grundsatz her waren sich der Kläger und auch das Finanzamt über die Besteuerung einig. Offenbar kannten sich aber mehrere Finanzbeamte mit den erforderlichen Kennziffern im maschinellen Veranlagungsverfahren nicht aus. Und so kam es wie es kommen musste. Trotz eines Prüfhinweises haben weder
  • der Veranlagungssachbearbeiter noch
  • die Bearbeiterin in der Qualitätssicherungsstelle noch
  • die zuständige Sachgebietsleiterin des Veranlagungsbezirks

den Eingabefehler erkannt, so dass ein Wert von 0 EUR bei der Summe der Einkünfte berücksichtigt worden ist. Der Steuerbescheid wurde bestandskräftig und sogar der Vorbehalt der Nachprüfung wurde aufgehoben. In der Folgezeit fand bei der GmbH eine Betriebsprüfung statt, bei welcher der Fehler in der Einkommensteuerveranlagung bemerkt wurde. Der Fehler sei als ähnliche offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO zu korrigieren.

Der BFH hat nun entschieden, dass ein bestandskräftiger Steuerbescheid nicht mehr nach § 129 AO berichtigt werden kann, wenn die fehlerhafte Festsetzung trotz eines vom Finanzamt praktizierten "Sechs-Augen-Prinzips" nicht auf einem bloßen "mechanischen Versehen" beruht. Die inhaltliche Prüfung und Bearbeitung ginge im Streitfall eindeutig aus den Steuerakten und den darin befindlichen handschriftlichen Vermerken hervor, die sich vom Schriftbild her deutlich unterschieden und zwei verschiedenen Personen zuzuordnen seien. § 129 Satz 1 AO erlaube nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten (sog. mechanische Versehen), die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind. § 129 AO sei dagegen nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des Finanzamts ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat. Die inhaltliche Prüfung und Bearbeitung durch zumindest zwei Mitarbeiter des Finanzamts schließe das Vorliegen eines bloß mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.

STEUERRAT: Der Fall zeigt, dass die Hürden für eine Änderung nach § 129 AO für die Finanzverwaltung hoch sind. Betroffene sollten sich im Zweifelsfall immer zeigen lassen, ob, inwieweit und von wem Prüfhinweise bearbeitet worden sind und ob sich eventuell handschriftliche Vermerke darauf befinden.

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