Ein typischer Fall: Die Eltern erwerben die eine Doppelhaushälfte, ein Kind die unmittelbar angrenzende Hälfte des Hauses. Sowohl die Eltern als auch das Kind nutzen ihre Doppelhaushälfte jeweils zu eigenen Wohnzwecken. Nach einigen Jahren versterben die Eltern. Das Kind wird Alleinerbe, nachdem auch der länger lebende Elternteil verstorben ist. Die beiden Haushälften werden nun miteinander verbunden, das heißt, es erfolgt ein Durchbruch und aus den beiden Haushälften entsteht eine einzige Wohnung. Diese wird von dem Kind und dessen Familie vollständig zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Frage: Ist die geerbte Haushälfte vollständig von der Erbschaftsteuer befreit? Antwort: Es kommt darauf an.

Im Jahre 2021 hatte Bundesfinanzhof diesbezüglich wie folgt entschieden: Erbt ein Steuerbürger eine Wohnung, die an seine selbst genutzte Wohnung angrenzt, kann dieser Erwerb als Familienheim steuerbegünstigt sein. Dies gilt aber nur dann, wenn die hinzuerworbene Wohnung unverzüglich zur Selbstnutzung bestimmt ist (BFH-Urteil vom 6.5.2021, II R 46/19). Der BFH konnte seinerzeit nicht abschließend entscheiden, sondern hat die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Insbesondere musste diese nun prüfen, ob eine Umbauzeit von fast drei Jahren für die Steuerbefreiung noch unschädlich war. Und siehe da: Erfreulicherweise hat das FG Münster im Streitfall entschieden, dass die Steuerbefreiung zu gewähren ist (FG Münster, Urteil vom 30.6.2022, 3 K 3184/17 E, veröffentlicht am 15.6.2023). Das Urteil könnte für viele ähnlich gelagerte Fälle sehr wertvoll sein. Im Einzelnen gilt:

  • Die Vererbung des selbstgenutzten Familienheims an die Kinder bleibt von der Erbschaftsteuer befreit, und zwar zusätzlich zu den persönlichen Steuerfreibeträgen (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG). Das gilt auch für eine hinzuerworbene Doppelhaushälfte oder Nachbarwohnung, die mit der bereits genutzten eigenen Wohnung verbunden wird. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, dass der Erblasser das Familienheim vor dem Erbfall selbst bewohnt hat und der Erbe die Immobilie nach der Erbschaft zehn Jahre lang selbst zu Wohnzwecken nutzt. Eine Vergünstigung tritt ein, soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 qm nicht übersteigt.
  • Wichtig ist für die Steuerbefreiung, dass das Familienheim unverzüglich zur Nutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist. Dies bedeutet im Grundsatz, dass der Erbe bereits kurz nach dem Erbfall in das Familienheim einziehen muss, wenn er nicht bereits darin wohnt. Mit "unverzüglich" ist üblicherweise eine Frist von maximal sechs Monaten gemeint.
  • Ein späterer Einzug kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zum steuerfreien Erwerb des Familienheims führen, etwa im Fall einer dringend notwendigen Renovierung (BFH-Urteil vom 28.5.2019, II R 37/16) Der Erbe muss dann aber glaubhaft darlegen, dass er diese Verzögerung nicht zu vertreten hat. Es obliegt ihm, die Renovierungsarbeiten und die Beseitigung etwaiger Mängel zeitlich so zu fördern, dass es nicht zu Verzögerungen kommt, die nach der Verkehrsanschauung als unangemessen anzusehen sind. Ein unverhältnismäßiger Aufwand zur zeitlichen Beschleunigung ist jedoch nicht erforderlich. Vielmehr reicht es aus, wenn der Erwerber alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreift.
  • Eine zeitliche Verzögerung des Einzugs aufgrund von Renovierungsarbeiten ist dem Erwerber nicht anzulasten, wenn er die Arbeiten unverzüglich in Auftrag gibt, die beauftragten Handwerker sie aber aus Gründen, die der Erwerber nicht zu vertreten hat, z.B. wegen einer hohen Auftragslage, nicht rechtzeitig ausführen können. Ein weiteres Indiz für die unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung ist die zeitnahe Räumung bzw. Entrümpelung der erworbenen Wohnung. Verzögert sich der Einzug hingegen deshalb, weil zunächst ein gravierender Mangel beseitigt werden muss, ist eine spätere Entrümpelung der Wohnung unschädlich, wenn sie nicht ihrerseits zu einem verzögerten Einzug führt (BFH-Urteil vom 6.5.2021, II R 46/19).

Im Urteilsfall kam das FG Münster zu folgendem Schluss: Die Bestimmung zur Selbstnutzung für eigene Wohnzwecke erfolgte unverzüglich im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG. Diesen Entschluss hat der Kläger trotz der deutlichen Überschreitung des regelmäßig anzuwendenden Sechs-Monats-Zeitraums auch innerhalb angemessener Zeit und damit unverzüglich umgesetzt. Der Kläger hat das Bauvorhaben zeitlich angemessen und mit zumutbaren Maßnahmen gefördert. Er hat die Gründe für die Verzögerung der Selbstnutzung der hinzuerworbenen Doppelhaushälfte sowie die Umstände, aus denen er diese Gründe nicht zu vertreten hat, hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Die Steuerbefreiung ist in vollem Umfang des festgestellten Grundbesitzwerts zu gewähren.

STEUERRAT: Es ist zu begrüßen, dass der BFH und nun auch das FG Münster den Hinzuerwerb einer Doppelhaushälfte begünstigen und die Sechs-Monats-Frist nicht restriktiv auslegen. Doch wichtig ist, dass der Erbe tatsächlich sehr zügig nach dem Erbfall mit der Renovierung beginnt und vor allem auch Beweisvorsorge trifft. Er muss dem Finanzamt gegenüber darlegen können, dass er alles unternommen hat, um schnell in die Wohnung einziehen zu können. Im Fall der hinzuerworbenen Doppelhaushälfte muss der Durchbruch also sehr zeitnah erfolgen. Verzögerungen bei der Bauausführung sollten sorgfältig dokumentiert werden.

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