Bereits seit vielen Jahren gibt es Streit um die Frage, ob die Leistungen von selbstständigen Lehren umsatzsteuerpflichtig oder -frei sind. Dabei geht es zunächst darum, ob für die entsprechenden Leistungen überhaupt dem Grunde nach eine Steuerbefreiung in Betracht kommt. Wenn diese Hürde genommen wurde, ist der Erfolg aber noch nicht gesichert. Denn nach dem Willen des deutschen Fiskus muss zusätzlich eine verfahrensrechtliche Hürde übersprungen werden. In Deutschland müssen Privatlehrer nämlich eine Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde vorlegen, aus der hervorgeht, dass die Unterrichtsleistungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten. Dieses Erfordernis, also die zweite Hürde, steht nach Ansicht der EU-Kommission aber nicht im Einklang mit dem EU-Recht. Von daher könnten sich die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Umsatzsteuerfreiheit von Privatlehren bald lockern.

Erstens: Umsatzsteuerfreiheit dem Grunde nach

Die Unterrichtsleistungen selbstständiger Lehrer können umsatzsteuerfrei sein. Voraussetzung ist unter anderem, dass mit dem Unterricht auf einen Beruf oder auf eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet wird. Es muss ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen vermittelt werden. Bei einer Vertiefung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Schüler ist zwar eine gewisse Spezialisierung der Lehrer und der Schulen unschädlich. Doch ein von vornherein spezialisierter Unterricht fällt nicht unter die Steuerbefreiung.

  • Im Jahre 2019 hat der EuGH dementsprechend entschieden, dass Fahrschulunterricht für die Erlangung der Fahrerlaubnisklassen B und C1 nicht umsatzsteuerfrei ist. Es handele sich nicht um einen von der Mehrwertsteuer befreiten Schul- und Hochschulunterricht (EuGH-Urteil vom 14.3.2019, Rs. C-449/17).
  • Im Jahre 2021 hat der EuGH dann geurteilt, dass auch Schwimmunterricht nicht von der Umsatzsteuer befreit ist. Von der Umsatzsteuer ausgenommen ist zwar "Schul- und Hochschulunterricht". Dieser Begriff sei im Sinne des europäischen Mehrwertsteuerrechts aber dahin auszulegen, dass er nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst (EuGH-Urteil vom 21.10.2021, Rs. C-373/19).

Spezialisierter und punktuell erteilter Unterricht ist also generell nicht von der Umsatzsteuerfreiheit umfasst, der allgemeinbildende Unterricht hingegen schon.

Zweitens: Verfahrensrechtliche Voraussetzungen

Für die Steuerfreiheit ist darüber hinaus wichtig, dass die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereitet wird. Das heißt: Üblicherweise ist es die Bezirksregierung, die bescheinigen muss, dass eine begünstigte "Bildungseinrichtung" vorliegt. Um überhaupt die Mindestvoraussetzungen für die Anerkennung als solche Einrichtung zu erreichen, müssen Vorträge und Kurse den Teilnehmern aber unmittelbar und nicht über andere Anbieter, etwa über eine öffentlich-rechtliche Institution, angeboten werden.

Gilt der Privatlehrer nicht selbst als Bildungseinrichtung, sondern wird er nur "für" eine solche tätig, benötigt zunächst die Bildungseinrichtung die entsprechende Bescheinigung und muss dann zusätzlich dem Referenten bestätigen, dass sie eine Bildungseinrichtung ist und die Unterrichtsleistung des Unternehmers im begünstigten Bereich der Einrichtung erfolgt (Abschnitt 4.21.3 Abs. 3 UStAE). Die Bescheinigung muss sehr frühzeitig vorliegen; wenn sie zu spät eingereicht wird, entfaltet sie keine Wirkung (BFH-Beschluss vom 27.07.2021, V R 39/20, BStBl 2021 II S. 964). Das ist alles ziemlich aufwendig, kompliziert und auch fehleranfällig.

Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland

Mit dem Erfordernis, eine Bescheinigung der Bezirksregierung vorlegen zu müssen, könnte bald Schluss sein. Der Einfachheit halber sei aus einer Pressemitteilung der EU-Kommission vom 7.2.2024 zitiert:

Nach der Mehrwertsteuerrichtlinie sind die Mitgliedstaaten der EU verpflichtet, von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht von der Mehrwertsteuer zu befreien. Die Mitgliedstaaten dürfen nur weitere Bedingungen stellen, um eine korrekte und einfache Anwendung dieser Befreiung zu gewährleisten und Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch zu verhindern. Dies muss so erfolgen, dass Steuerpflichtige, die ein Recht auf eine Mehrwertsteuerbefreiung haben, diese auch wirksam in Anspruch nehmen können. In Deutschland müssen Privatlehrer aber eine Bescheinigung vorlegen, um in den Genuss der Mehrwertsteuerbefreiung zu kommen. Aus dieser von der zuständigen Landesbehörde auszustellenden Bescheinigung muss hervorgehen, dass die Unterrichtsleistungen auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung vorbereiten.

Dieses Erfordernis steht nach Ansicht der EU-Kommission nicht im Einklang mit dem EU-Recht in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof. Somit verstößt Deutschland nach Auffassung der Kommission gegen seine Verpflichtungen aus der Mehrwertsteuerrichtlinie. Daher hat die Kommission beschlossen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland zu richten, das nun reagieren und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen muss. Anderenfalls kann die Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen.

STEUERRAT: Wie das Verfahren ausgehen wird und wann überhaupt mit einer endgültigen Entscheidung der EU-Kommission oder des EuGH zu rechnen ist, steht natürlich in den Sternen. Auch hat nicht jeder Privatlehrer überhaupt ein Interesse an der Steuerfreiheit, denn mir ihr würde der Verlust des Vorsteuerabzuges einhergehen. Wer aber von der Steuerfreiheit profitieren kann, sollte seine Umsatzsteuer-Festsetzungen offen halten.

AKTUELL sei darauf hingewiesen, dass der - erste - Referentenentwurf des Jahressteuergesetzes 2024 vorliegt. Unter anderem ist vorgesehen, die Steuerfreiheit von Bildungsleistungen EU-konform zu regeln. So soll unter anderem das Bescheinigungsverfahren abgeschafft werden. Noch ist das Gesetz aber nicht beschlossen (siehe hierzu NWB Experten-Blog: JStG 2024: Endlich Vereinheitlichung bei den Bildungsleistungen nach § 4 Nr. 21 UStG-E?).

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