Für ein Kind zwischen dem 18. und dem 25. Lebensjahr erhalten die Eltern Kindergeld, wenn es sich noch in der Berufsausbildung befindet. Allerdings gibt es eine wichtige Differenzierung zwischen Erst- und Zweitausbildung: Bei einer Erstausbildung wird das Kindergeld ohne weitere Voraussetzungen gezahlt. Bei einer Zweitausbildung sieht die Sache anders aus: Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht. Lediglich eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 2 u. 3 EStG). Das heißt: Für die Frage des Kindergeldes ist es von Vorteil, wenn ein aufbauender Studiengang oder eine fachliche Weiterentwicklung noch als Erstausbildung gilt, denn dann kann das Kind voll arbeiten, ohne dass der Anspruch auf Kindergeld verlorengeht. Wie sind aber Fälle zu beurteilen, in denen die fachliche Weiterentwicklung lediglich angestrebt wird und das Kind bis zu einer Zusage des möglichen Ausbildungsbetriebs in Vollzeit arbeitet? Kann das Kindergeld dann auch für die Übergangszeit bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsschrittes beantragt werden? Antwort: Ja, das ist möglich!

AKTUELL hat das Finanzgericht Münster entschieden, dass die Ausbildung zum Rettungssanitäter und eine Ausbildung zum Notfallsanitäter eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung bilden. Kindergeld sei auch für die Übergangszeit zu gewähren, in der das Kind vor der Aufnahme der Ausbildung zum Notfallsanitäter bereits einer Vollzeittätigkeit als Rettungssanitäter nachgeht (FG Münster, Urteil vom 17.10.2022, 7 K 591/22 Kg).

  • Der Fall: Der Sohn absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Rettungssanitäter. Nach bestandener Prüfung nahm er eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung in diesem Beruf auf. Bereits kurz vor der Prüfung bewarb er sich bei mehreren Ausbildungsbetrieben im gesamten Bundesgebiet für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter. Die Bewerbungen blieben bisher ohne Erfolg. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung daher nach Beendigung der Ausbildung zum Rettungssanitäter auf. Im Einspruchsverfahren machte die Mutter geltend, dass ihr Sohn eine Ausbildung zum Notfallsanitäter anstrebe. Die Familienkasse wies den Einspruch aber als unbegründet zurück. Zwar liege ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem ersten und dem - geplanten - zweiten Ausbildungsabschnitt vor. Ein Kindergeldanspruch scheitere aber daran, dass die Erwerbstätigkeit im Vordergrund stehe. Insbesondere nutze der Sohn bereits die durch die Ausbildung zum Rettungssanitäter erlangte Qualifikation. Zudem arbeite er in Vollzeit, wohingegen die weitergehenden Ausbildungsmaßnahmen noch nicht durchgeführt werden. Doch die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.
  • Begründung: Die Ausbildung zum Rettungssanitäter und die von dem Sohn angestrebte Ausbildung zum Notfallsanitäter stellen eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung dar. Ein enger sachlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass beide Berufsgruppen im Bereich der notfallmedizinischen Versorgung und des Transports von Patienten tätig werden. Ein enger zeitlicher Zusammenhang ergibt sich daraus, dass sich der Sohn der Klägerin bereits während der Ausbildung zum Rettungssanitäter und im unmittelbaren Anschluss an diese Ausbildung ernsthaft um die weitergehende Ausbildung zum Notfallsanitäter bemüht hat.
  • Auch führt die Vollzeitbeschäftigung als Rettungssanitäter zu keiner Zäsur. Die Erwerbstätigkeit dient lediglich der Überbrückung der Wartezeit bis zum nächsten Ausbildungsabschnitt. Entgegen der Auffassung der Familienkasse kann dem Kindergeldanspruch nicht entgegengehalten werden, dass die Berufstätigkeit des Sohnes im Vordergrund steht. Es trifft zwar zu, dass der Sohn einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung in seinem Ausbildungsberuf (Rettungssanitäter) nachgeht. Dies ist hier aber unschädlich. Anders wäre die Rechtslage, wenn die Erwerbstätigkeit später gegenüber der angestrebten Ausbildungsmaßnahme im Vordergrund stünde. Vorliegend ergibt die Prognose aber, dass nicht die Erwerbstätigkeit des Sohnes im Vordergrund stehen wird, sondern die angestrebte Ausbildung. Folglich besteht damit auch in der Übergangszeit nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG ein Kindergeldanspruch.

STEUERRAT: Zugegebenermaßen ist das Urteil nicht ganz leicht verdaulich, denn die Rechtslage ist ziemlich kompliziert. Doch es lohnt sich, die Entscheidung näher unter die Lupe zu nehmen. Sie wird vielen Eltern, deren Kinder auf die Zusage zu einer weiterführenden Ausbildung warten, bares Geld bringen. Wichtig ist aber, dass Eltern und ihre Kinder Beweisvorsorge betreiben. So sollten Bewerbungen um die weiterführende Ausbildung unbedingt nachgewiesen werden können. Und letztlich muss es sich tatsächlich um eine einheitliche erstmalige Berufsausbildung handeln. In vielen Fällen sehen die Familienkassen und die Gerichte eher eine selbstständige Zweitausbildung. So hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Weiterbildung zum Facharzt kein Teil einer einheitlichen erstmaligen Berufsausbildung ist. Bei einer im Anschluss an das Medizinstudium absolvierten Facharztweiterbildung handelt es sich lediglich um eine Zweitausbildung. Und dann wiederum wäre es schädlich, wenn das Kind einer Vollzeittätigkeit nachgeht (BFH-Urteil vom 22.9.2022, III R 40/21; vgl. SteuerSparbrief Dezember 2022).

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